sitze in meinem gemütlichen Wohnzimmer, rundum leuchtet es golden und silbrig, es duftet nach Tannen und Weihnachtsplätzchen. Langsam kommt die Dämmerung und meine Gedanken schweifen zurück in vergangene Zeiten. Kindheit, Krieg, Bomben, Angst, Entbehrungen, 1945 endlich Schluss mit der Angst, erstes Hoffen auf ein anderes, besseres Leben.1946 - ich halte in meinen Gedanken ein, wie war das 1946?

Ein eisiger Winter war hereingebrochen, die Flüsse zugefroren, wenig Kohlen im Keller, spärliches, im Wald gesammeltes Holz im Schuppen, gerade ausreichend, um die Küche warm zu halten und das ebenso spärliche Essen zuzubereiten. Auf dem Marktplatz vor dem Elternhaus hoher Schnee, in der Wintersonne funkelnd. Eingepackt in von Mama Selbstgestricktem und einem Mantel, genäht aus Papas grauer Jacke, einer Mütze aus dem Fell meines geliebten Kaninchens,  durfte ich hinaus in die Wintersonne, um auf Papas altem Kastenschlitten bäuchlings den Marktplatz hinunter zu schlittern.
Mein Kaninchen war eigentlich gefüttert worden, um am Heiligen Abend auf den Tisch zu kommen. Mein Kaninchen, das ich gehegt und gepflegt hatte! Dann aber hatte die Mutter anders entschieden und es bereits im Advent geschlachtet. Ausgeschimpft wurde ich noch, als ich mich weigerte davon zu essen.
"Niemals esse ich das, lieber verhungere ich!", hatte ich weinend gerufen und war aus der Küche gerannt.
Meine Tante, die ausgebombt war und bei uns wohnte, hatte mich tröstend in die Arme genommen.
Wir hatten uns an alles gewöhnt, waren nur froh, dass der Krieg vorbei war und zehrten von der Hoffnung, dass es irgendwann besser werden würde. Von meinem Vater, den ich zu dieser Zeit 3 Jahre nicht mehr gesehen hatte, gab es keine Nachricht. Er war irgendwo in den eisigen Weiten Russlands, lebendig oder tot. Was konnte ich erwarten an Heilig Abend?
"Einen Tannenbaum gibt es dieses Jahr nicht", hatte die Mutter schon frühzeitig verkündet, "danach steht mir nicht der Kopf!"
Am 23. Dezember war ich früh schlafen gegangen und hatte mich mit dem Gedicht getröstet:

Die Nacht vor dem Heiligen Abend,
da liegen die Kinder im Traum,
sie träumen von schönen Sachen
und von dem Weihnachtsbaum.
Und während sie schlafen und träumen
wird es am Himmel klar,

und aus dem Himmel steigen 
zwei Engel wunderbar.

Und kurz vor dem Einschlafen war es mir, als hätte ich die Engel gesehen. Ich erwachte am 24. Dezember lustlos. Der Gedanke, dass es noch nicht einmal einen Weihnachtsbaum geben sollte, machte mich unendlich traurig. Ich wurde zu einer anderen Tante geschickt, wo ich den Tag vertrödelte, bis ich gegen 17.00 Uhr nach Hause ging.
Es dunkelte bereits und an vielen Fenstern sah ich Kerzen brennen, die leuchteten für einen Mann oder Sohn in Gefangenschaft, vermisst oder tot in fremder Erde. Aber auch Kerzen waren Mangelware und mussten gehütet werden für Stromausfälle und Notsituationen. Durch die Fensterläden unseres Hauses schimmerte friedliches Licht, und ich dachte, dass es doch nicht so schlimm sei, ohne Weihnachtsbaum. Geschenke erwartete ich sowieso keine. Die Hauptsache war doch, dass es friedlich zuging und wir keine Angst haben mussten. Es roch gut, als ich in die Küche kam. Grießkuchen oder vielleicht sogar Plätzchen, überlegte ich. Das Türfenster zum Wohnzimmer war verhängt.
"Das habe ich zugemacht, wir können da nicht rein, weil es zu kalt ist", erklärte die Mutter. Aus dem Volksempfänger, der ab und zu den Geist aufgab, aber dann doch wieder ansprang, erklangen Weihnachtslieder: Oh, du fröhliche, oh du selige Gnaden bringende Weihnachtszeit!
Ich kämpfte mit den Tränen, als zu meiner Überraschung plötzlich aus dem Wohnzimmer ein Klingelton ertönte. Das war doch die Weihnachtsglocke, mit der immer die Bescherung eingeläutet wurde. Die Mutter öffnete die Tür, und da sah ich ihn in seiner ganzen Pracht, einen Weihnachtsbaum, gerade richtig, nicht zu groß und nicht zu klein, mit breiten duftenden Ästen, silbernen Kugeln und sogar einigen brennenden Wachskerzen. Ich glaube, ich begann zu leuchten, wie der Baum vor mir.

"Fröhliche Weihnachten", wünschte die Mutter und die Tante, die das Glöckchen geläutet hatte, stimmte Stille Nacht, heilige Nacht an.
Wir vergaßen auch nicht zu beten für den Vater und hofften, dass auch für ihn irgendwo ein Weihnachtslicht brannte.
"Da liegen Geschenke für Dich unter dem Baum", machte mich die Mutter aufmerksam.
Ja, tatsächlich, da gab es etwas. Aufgeregt packte ich aus:
ein Stück Kappus Seife, wunderbar duftend, 1 Kinokarte für die Kindervorstellung, 2 Briketts (sonst kam man nicht in die Vorstellung) und einen roten Pullover, natürlich selbst gestrickt aus aufgezogener Wolle.
Mein Glück war vollkommen. Noch als ich später glücklich im Bett lag, sah ich im Geiste den leuchtenden Baum, und die zwei Engel kamen und wiegten mich in einen Weihnachtstraum.

Ich komme zurück in die Gegenwart. Ich habe nun alles, was man sich erträumt, doppelt und dreifach, aber so selig kann ich an Weihnachten nicht mehr empfinden. Leider!

 

 

 


 

 


 


 

 


 


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