Die Reise nach 
 Ulla Leber

In das mehr oder minder beschauliche Leben dreier pensionierter Polizeibeamter, Leo ü.60, Egon ü.65, Jockel ü.70 des K11 Offenbach (Tötungsdelikte) brachte die am 30.04.04 durch Polizei-Boten persönlich überreichte Vorladung,  als Zeuge zu einer Gerichtsverhandlung in Parma/Italien  zu erscheinen, einige Unruhe.

Die  anstehende Verhandlung vor dem Tribunale Parma betraf einen Mordfall in Neu-Isenburg aus dem Jahr 1985. Die Zustellung der italienischen Staatsanwaltschaft Gerichtshof Parma „befiehlt die persönliche Erscheinung am 11.05.2004 um 9.00 Uhr in „der“ Audienzsaal dieses Gerichtshofes.“
Eine Anschrift, wo der Gerichtshof zu finden war,  war nicht angegeben  aber, dass die Kosten für Flug (Touristenklasse) und für den Aufenthalt rückzahlbar sind und den bestehenden Bestimmungen gemäß, Reisegeld bezahlt wird.

Wie es sich für pflichtbewusste deutsche Beamte auch im Ruhestand gehört, wollte sich keiner mit einem ärztlichen Attest vor dem doch immerhin kurzfristigen Erscheinen vor dem Gerichtshof drücken, sondern gemeinsam nahmen sie Akteneinsicht in das damalige Geschehen, das nach fast 20 Jahren in ihrer Erinnerung verständlicherweise lückenhaft war. Man eruierte im Internet, dass Parma zwar einen Flughafen hatte, aber nur einen kleinen, der nicht direkt angeflogen wurde und wenn, dann nur von kleinen Maschinen. Man hätte Mailand anfliegen müssen, einen Wagen mieten und nochmals 180 km bis Parma zurücklegen müssen.

Also entschlossen sie sich für die billigste Lösung, eine Zugfahrt von ca. 12 Stunden. Denn auch, so ganz im Geheimen, befürchteten sie , dass es mit der Kostenerstattung doch wohl in Italien nicht so einfach wäre. Da Pünktlichkeit eine preußische Tugend ist, machten sie sich am 10.05.04 um 6.00 Uhr auf, den Zug nach Parma zu besteigen , wo sie auch um 18.00 Uhr nach mehrmaligem Umsteigen glücklich ankamen, Zeit genug um ein Hotel zu suchen und ausgeruht am anderen Morgen  pünktlich vor dem Tribunale in Parma zu erscheinen.

Keiner der Dreien, weder L., noch E, noch J.,  sprach italienisch, mal abgesehen von Buon giorno, Buona sera, Per favore,  Scusi und was man sonst noch beim Italiener um die Ecke aufschnappt. Vorsichtshalber hatte eine der Ehefrauen prägnante Sätze, das Gerichtsgebäude und die Unterbringung  betreffend aufgeschrieben und sich vom italienischen Restaurantbesitzer übersetzen lassen. 

Schon am Taxistand am Bahnhof musste der Zettel mit den Übersetzungen eingesetzt werden, denn man sprach nicht deutsch in diesem Gebiet, das kaum Tourismus kennt. In Parma, das zukünftig europäische Lebensmittel-Hauptstadt werden soll, war „Grüne Woche“.  Nur mit Mühe und Not und unter Mithilfe der Polizei wurde anstatt dreier  Einzelzimmer ein 3-Bettzimmer in der Nähe des Tribunals gefunden. Man gönnte sich, bescheiden wie ein deutscher Beamter ist,  noch eine kleine Pizza , 1 Bier und 1 Wasser.

 

Am nächsten Morgen abwechselnd duschen, anziehen, frühstücken und per pedes durch enge Pflasterstein-Gässchen zum Tribunale. Da Pünktlichkeit eine Zierde ist, waren sie natürlich 15 Minuten vor dem vereinbarten Termin im Tribunal auf der Suche nach dem Audienzsaal,  der endlich gefunden, mit seiner herrlichen Ausstattung, dem Riesenkreuz und dem Käfig für die Angeklagten einen Ehrfurcht gebietenden Eindruck hinterließ.

 

Es war bereits 9.00 Uhr vorbei, und sie begannen zu zweifeln, ob sie den richtigen Saal erwischt hatten, denn niemand ließ sich blicken. Endlich gegen 9.20 Uhr erschien
der vorsitzende Richter mit der Staatsanwältin und den Geschworenen im Schlepptau. Das Platznehmen bot ein eindrucksvolles Bild. Zuerst setzte sich mit grandezza der vorsitzende. Richter, dann nacheinander die links und rechts von ihm sitzenden Geschworenen. Eine gut viertelstündige Beratung erfolgte, von denen die Zeugen, von denen nur die Personalien aufgenommen worden waren,  kein Wort verstanden, da ihnen kein Dolmetscher zugeteilt worden war. 

Dann setzte sich die  Frau Staatsanwältin in ihrem schwarzen Talar mit Silbertroddeln in Bewegung und kam mit einem Dolmetscher auf die deutschen Zeugen zu, um klar zu machen, dass aufgrund der Erkrankung eines Rechtsanwaltes das Gericht beschlossen habe,  die Verhandlung auf den 6. Oktober 2004 zu verlegen. Die Zeugen hätten an diesem Termin wieder zu erscheinen.  Die Frau Staatsanwältin wies sie an, die Rechnung des Hotels zu holen und sich um  11.00 Uhr vor dem Tribunale einzufinden, von wo sie zur Kostenerstattungsstelle geführt würden.

 

Gesagt getan! Zurück zum Hotel, Il conto, die Rechnung geholt und wieder zum Tribunale. Eine junge Frau in Begleitung einer Praktikantin, die in Passau deutsch studierte und als Dolmetscherin fungieren konnte, geleitete die Zeugen zur Kostenerstattungsstelle. „Die Kostenerstattung gibt es erst zum 2. Termin im Oktober“, mussten sie hören. „Das ist in Italien so üblich.“

Sie sollten alle Belege sammeln und im Oktober zur Erstattung vorlegen.

Damit nicht einverstanden, denn wer weiß schon, was im Oktober ist, legten sie Widerspruch ein. Auf Suche nach einem Verantwortlichen, der in dieser Sache behilflich sein könne, sahen sie einige Male den zuständigen Richter, der aber immer, wenn er der deutschen Zeugen ansichtig wurde, abdrehte und schnell in einem der Gänge oder Zimmer verschwand.

 

Nach langem Palaver entschloss sich der für die Auszahlung Zuständige, wenigstens die Kosten für die  Bahnfahrt zu ersetzen, die Übernachtungen und Taxifahrt würden nicht übernommen:
„Das ist in Italien nicht üblich!“ Das muss  deutscher Minister zahlen!“

„Es wurde uns aber in der Vorladung zugesagt“, versuchten sie ihr Glück erneut, um dann zu hören, dass der Dolmetscher dies wohl alles falsch übersetzt habe. Und Tagegeld? Nach langem hin und her gab es die Zusage für 2 Euro pro Tag, die übliche Reisekosten-Zeugenvergütung in Italien.  Das ist eine „enorme“ Summe, wenn man bedenkt, dass alleine  das Gedeck für eine Pizza schon 1,60 Euro kostet. Nun gut, Fantastico, sie hatten wenigstens Aussicht auf das Geld für die Bahnfahrt, zusätzlich  2 Mal 2 Euro Tagegeld. Wenn sie dachten, sie bekämen die hart umkämpften Euro jetzt ausbezahlt, hatten sie sich getäuscht. Dafür war Postale, das Postamt zuständig. Schon im Abdrehen machte ein Blick auf den ausgestellten Zahlschein  deutlich, dass anstatt 252,-- Euro, dort 225,-- Euro standen, ein klassischer Zahlendreher. „Scusi, das kann passieren!“

Mittlerweile schon erfahren und gewiss, dass die Auszahlung bei  Postale bestimmt mit Hindernissen verbunden war, ließen sie sich vorsichtshalber  die Telefonnummer des Gerichtsauszahlungsbeamten geben. So gerüstet machten sie sich auf den Weg zum Postamt.

"Scusi signor, quanti chilometri sono? per favore!"

“La prima strada a sinistra, poi al semaforo svolti a destra!”
Die 252,-- Euro wurden endlich ausbezahlt, und mit dieser Reisekostenabrechnung waren vier italienische  Personen insgesamt  2,5  Stunden gut beschäftigt gewesen.
Ein Handyanruf mit einer der Ehefrauen wäre noch erwähnenswert. Denn „Mann“ erfuhr, dass am vergangenen Abend gegen 23.00 Uhr, als die Parmareisenden schon in Parma in ihrem 3-Bettzimmer lagen, zu Hause das Telefon Sturm geläutet, und die Polizei die Ehefrauen darüber unterrichtet hatte, dass die Verhandlung ausfalle und die Ehemänner nicht anreisen müssten.

 

Auf zum Bahnhof, die Rückreise buchen. Das vereinigte Europa lässt grüßen. Will der Reisende Italien verlassen, muss er einen Auslandszuschlag zahlen, und es besteht eine Platzreservierungspflicht, noch Mal pro Person 19 Euro.

Auch der Magen meldete sich nun zu Wort, Zeit für eine Lasagne, Pizza , Barillanudeln oder Parma Schinken. Es blieb noch Zeit für die Dombesichtigung, mit schmerzenden Füßen eine kleine Tour durch die Altstadtmit zwei Absackerbieren. Noch eine Nacht im Dreibettzimmer, bei verständlicherweise offenem Fenster und enormer Lärmbelastung. Dann am nächsten Morgen zurück über die Schweiz nach Frankfurt.

 

„Ich weiß nicht, ich habe so einen Schmerz in der rechten Leistengegend“, sagte der eine der Pensionäre zum Abschied. „Ich glaube, ich habe einen Leistenbruch,  ich lasse mich operieren, so um den 6. Oktober wäre eine schöne Zeit, was meint Ihr?“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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