Der Film "Die Sünderin" platzte in die
Spießigkeit der Fünfziger, erregte die Gemüter, Pfarrer wetterten von der Kanzel,
Eltern schimpften...


 

   wurden endgültig die Lebensmittelkarten abgeschafft.
Otto Normalverbraucher, der sich aus Nahrungsmangel durch Schlankheit ausgezeichnet hatte, tat alles um dem entgegenzuwirken. Die Fresswelle war angesagt. Dabei wurde an Essen nicht gegeizt, und getrunken wurde alles, was nach Alkohol aussah und auch solchen enthielt. Groß in Mode war der Güne Escorial. Es gab noch immer Kriegsgefangene, Frauen die warteten auf Ehemänner oder Söhne.

Anfang der Fünfziger gab es Eisenbieger, die durchs Land zogen, Hungerkünstler, die sich wochenlang unter Glas liegend zur Schau stellten, bis sie tatsächlich fast am Verhungern waren. Eine Faszination für alle, die doch gerade erst die Freude des Essens wieder kennen gelernt hatten.

1951 gab es große Aufregung um die blonde schrägäugige Hildegard Knef und den Film die Sünderin.  Der Pfarrer wetterte von der Kanzel sprach von Sünde und Verderbnis.
Wir aber dachten, was um alles in der Welt sollte schlecht sein an einer schönen Frau, die für einen Augenblick nackt zu sehen war. Welche Gefahr sollte davon ausgehen? Wir hörten nicht mehr auf den Pfarrer sondern rannten ins Kino. Die Macht der Kirche bröckelte. Wer wollten nicht mehr nur auf der Welt sein, um Gottes Willen zu erfüllen, wir wollten unseren eigenen Willen durchsetzen.

Es gab das Fräuleinwunder, das Susanne Erichsen 1950 eröffnet hatte. Nach all den blonden Idolen der Nazizeit eine dunkelhaarige Schönheit, die außerdem noch in sowjetischen Arbeitslagern interniert gewesen war. Schön und damenhaft im New Look ging sie als Model nach New York und wurde als deutsches Fräuleinwunder bestaunt.
Der finanzielle Lastenausgleich wurde ins Leben gerufen und machte manchem schwer zu schaffen.

Eine Arbeit war anfangs der Fünfziger schwer zu finden, und man durfte nicht wählerisch sein. Ich fing als Kontoristin an, und hasste diese Stelle mit Bergen von Rechnungen über Moniereisen, Stahlrohre, Klosettbecken und Haushaltwaren. Die Rechenmaschine sauste  den ganzen langen Tag hin und her.  Blieb beim Händewaschen ein wenig Nässe zurück oder waren Schuhe bei Arbeitsbeginn noch regennass, hagelte es elektrische Schläge. Es gab noch keinen freien Samstag, und in der Adventszeit musste ich auch sonntags arbeiten.Das spärliche Gehalt gab es jeden Ultimo in einem Papiertütchen, und wenn ich mich zu Hause beschwerte hieß es:
„Arbeit hat noch keinem geschadet!“

1953 begehrten die Menschen in Ostberlin und der sogenannten DDR auf, und es kam zum Aufstand. Sowjetische Panzer fuhren auf und schlugen die Rebellion nieder. Im selben Jahr starb auch Diktator Stalin.

Fortschrittliche, gut verdienende Familien, das waren zu dieser Zeit noch nicht viele, hatten einen kleinen Fernseher mit schwarz weißem Bild, eine  Sensation. Bei ihnen versammelten sich abends die Freunde und Nachbarn, saßen um den Apparat und bestaunten das Kino in der Stube.
Natürlich ließen sich die Fernsehgastgeber nicht lumpen. Schließlich war man ja wer, wenn man sich schon einen Fernseher leisten konnte.  Sie holten die Korb Chianti -Flaschen, die sie aus Italien mitgebracht hatten, aus dem Keller, reichten Käsehäppchen mit Oliven. In die leeren Buddel kam dann später eine Kerze, deren herunter tropfendes Wachs nach und nach die Flasche umhüllen würde. Manche hatte auch schon ein Gemälde „Sonnenuntergang in Capri“ über dem Sofa hängen.
Denn schließlich war man ja auch mit der Urlaubswelle gegen Süden gereist, um zu erleben, wie bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt und um die bleiche Haut zu bräunen.

Zur Weltmeisterschaft 1954 hatten viele Gastwirte und Cafes sich einen Fernseher zugelegt, um ihre Kundschaft zu behalten und neue zu gewinnen. Aber die meisten verfolgten das Geschehen am Radio.
Wir fieberten mit unseren Spielern, die am zwanzigsten Juni in Basel gegen den Top-Favoriten Ungarn antraten und 3:8 verloren.

„Der Herberger, der alte Fuchs, der hat doch mit der 2. Wahl gespielt und absichtlich verloren, der will unsere Mannschaft schonen und die weiteren Gegner in Sicherheit wiegen, meinten die Fußballkenner. Aber Verständnis hatte niemand für diese Taktik.
Was keiner geglaubt, höchstens nur geträumt hatte, passierte: Unsere Mannschaft stand im Endspiel am 4. Juli 1954 der als unschlagbar geltenden ungarischen Mannschaft gegenüber.
An einen möglichen Sieg glaubte im Ernst niemand, selbst bei Heraufbeschwörung aller deutschen Fußballtugenden blieb das eine Utopie.

Es war das größte Wunder der Fünfziger Jahre, als Helmut Rahn in der fünfundachtzigsten Minute den Ball unerreichbar für den Torhüter der siegesgewissen Ungarn in die linke untere  Ecke zum 3.:2 versenkte.

Tor, Tor, Tor, Tor!“ tönte es aus dem Radio und setzte sich als vielstimmiger Jubelschrei durch ein ganzes Volk fort. Ich hörte Herbert Zimmermann sagen:
„Noch drei Minuten sind zu spielen!“
Abpfiff!

Deutschland war Weltmeister.
Es lagen sich nach diesem grandiosen Erfolg , nicht nur glückliche Spieler und der Trainer in den Armen, sondern auch hier drückte jeder jeden. Viele hatten Tränen in den Augen.

Aus diesem Sieg, bei dem die Welt, wie es schien, einen Augenblick den Atem angehalten hatte, zogen wir für uns das Fazit:
„Wir sind wieder wer, aus Schutt und Asche auferstanden!“
Das hatten die Jungs und der Trainer, deren Namen unvergessen in uns eingegraben sind, geschafft.

Mit der Rückennummer 1-11 siegten:

Toni Turek, Jupp Posipal, Werner Kohlmeyer, Horst Eckel, Werner Liebrich, Karl Mai, Helmut Rahn, Max Morlock, Ottmar Walter, Fritz Walter, Hans Schäfer.
Trainer: Sepp Herberger

Im propervollen Stadion in Bern erklang bei der Siegerehrung das Deutschlandlied, dessen dritte Strophe gesungen werden durfte. Aber die war den meisten noch unbekannt, und so sangen die deutschen Schlachtenbummler die erste Strophe, die
noch fest im Gedächtnis verankert war.

Wiederaufbau,  Wirtschaftswunder,  das waren die Schlagwörter in dieser Zeit. Aber es gab 1955 immer noch russische Kriegsgefangene, bis Konrad Adenauer sich auf den Weg in die UDSSR machte und die Freilassung „der Menschen ohne Gesichter“ erwirkte.

Deutschland wurde in die Nato aufgenommen und die Dienststelle Blank wurde umgewandelt in  Bundesministerium für Verteidigung. Die ersten Wehrgesetze traten in Kraft. Wer hätte dies 1945 gedacht.Heiße Debatten gingen diesen Ereignissen voraus. Ich hing an meinem Volksempfänger und dachte, dass dies alles nicht wahr sein könne.

Die DDR vollzog die Gründung der Nationalen Volksarmee, und mit dem Wehrpflichtgesetz der BDR standen sich von nun an zwei deutsche Wehren gegenüber.

Die letzten Russlandheimkehrer kamen Anfang 1956  in der Heimat an, in eine Heimat, in der sie sich nur schwer zurechtfanden, die ihnen aber auch keine Zeit ließ, ihrer verlorenen Jugend nachzutrauern.

Petticoats kamen in Mode,  Ballerinaschuhe, weiße Söckchen, der Hula Hoop Reifen, und Petra Schürmann schaffte es, zur Miss World gekürt zu werden.

Die Renovierungswelle gewann an Fahrt. Altes raus, Neues rein, war die Devise. Schöne, alte geschnitzte Schränke von Uroma und Oma geerbt, flogen auf die Straße und machten Gelsenkircher Barock, Nierentischen und orangenen und gelben Tütenlampen Platz. Unter schönen alten Balkendecken wurden neue Decken aus Pressholz eingezogen.
Die alten Fassaden der Fleischer- und Krämerläden wurden durch bunte Mosaiksteinchen und Plastikvordächer verschandelt.

„Wir müssen mit der Zeit gehen“, hieß es auch bei uns daheim, und alte Stühle flogen heraus, um blauem Plastik Platz zu machen.  Auch das Stillleben mit dem Goldrahmen,
um das es aber nicht schade war, landete vor der Tür.

Nur von „Jesus weitn auf dem Ölberg“ wollte sich meine Mutter nicht trennen. Sie befürchtete, es könne Unglück bringen ein christliches Bild auf den Müll zu werfen.Aber die wunderschöne, große kupferne Suppenkelle ihrer Großmutter warf sie weg.
Ihr Öllämpchen hatte ich vorsorglich versteckt.


Findige Vertreter von Baufirmen zogen über Land, um die Menschen von der Notwendigkeit der Umgestaltung zu überzeugen.
Ganz Schlaue waren mit dem Lastwagen unterwegs, um das Weggeworfene einzusammeln und für den Tag aufzuheben, an dem es wieder gefragt sein würde.

Brigit Bardot, ein laszive Blondine, tauchte irgendwann auf den Filmfestspielen in Cannes auf, eroberte mit Pferdeschwanz, Schmollmund und Unschuldsblick die Leinwand.
In Frankfurt wurde Rosemarie Nitribitt ermordet, und die Ermittlungen um ihren Tod führten in einen Sumpf der Verlogenheit mit einem Mörder, der nie gefunden wurde. In ihrem kurzen Leben spiegelte sich die ganze falsche Moral, in der die fünfziger Jahre versunken waren.

Wir entdeckten Bill Harley, Elvis Presley und den Rock‘ n‘ Roll.
Negermusik schimpften die Alten, doch für uns Junge war es der Ursprung einer musikalisch kulturellen Revolution.

Was für eine Musik!
Es schien, als könne dieser Rhythmus uns endlich die körperliche und seelische Freiheit geben, die wir so sehr wünschten.
Scheunen wurden umfunktioniert in Rock’n Roll Schuppen, die Halbstarken trugen Elvistoll, Koteletten, Lederjacken und blaue Wildlederschuhe.

Ich heiratete  1957 zunächst standesamtlich, um Steuern zu sparen. Bis zur kirchlichen Hochzeit führte meine Firma mich weiterhin unter meinem Mädchennamen und dem ländlichen Sittenkodex gehorchend, gab es auch noch kein eheliches Zusammenleben.

Als wir später in unserer Pfarrkirche vor den Altar traten, um vor Gott einander zugesprochen zu werden, stimmte auf der Empore ein Bariton mit eindrucksvoller Stimme das  Ave Maria an.
Er wurde übertönt von Elvis Presley, dessen Tutti Frutti lautstark vom nahen Rummelplatz herüber rockte und mir bei der Heiligen Handlung unwiderstehlich in die in spitzen Schuhen steckenden Füße fuhr, die sich gänzlich unpassend zum Ehesakrament im Takt bewegten.

Als wir nach dem Zeremonie die Stufen des Altarraums hinunter gingen und durch das lange Kirchenschiff schritten, das gesäumt war von heraus geputzten Verwandten, Freunden und Bekannten, waren wir glücklich und gewiss, dass wir einer verheißungsvollen Zukunft entgegen gehen würden.

 

 


 

 

 

 


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