Der Gehorsamssprung - Ulla Leber
 

ir kämpfen miteinander, das Auto und ich. Gewöhnlich ziehen wir auch den Fahrlehrer in diesen Kampf mit hinein.
"Liebling, wollen, oder können sie nicht? Die Kupplung kommen lassen, bis zum Schleifpunkt, dann halten! Nicht loslassen! Anhalten! Das gleiche von vorn!"
Vier Monate - die Urlaubszeit nicht mitgerechnet - geht der Spaß schon. Wir leben zwar in einer Demokratie, aber die Fahrlehrer sind die letzten Diktatoren. Ohne theoretischen Unterricht keine Fahrstunde!  Zwei Mal die Woche Theorie, im Kreise Nägel beissender junger Damen, schwitzender Twens. Hin und wieder eine sorgfältige gekleidete Mittdreißigerin unter der blauen Truppe der Jeansbehosten.


Himmel ich bin 42! Drohend steht die Anzahl meiner Lebensjahre für die zu nehmenden
Fahrstunden. 
Heute habe ich die 15. vor mir.
Er wartet schon auf mich, der  gelbe BMW. Ich steige ein, zelebriere einigermaßen gekonnt die Abfolge des Anfahrens: Sitz einstellen, anschnallen, Innenspiegel, Außenspiegel, Leerlauf kontrollieren, Kupplung treten, den ersten Gang einlegen, Handbremse lösen, Blinker. Ich komme gerade noch an dem vor uns parkenden Mercedes vorbei. Langsam zuckeln wir durch die Stadt.
Wir sind die einzigen, bei denen die Tachonadel nie höher als zwischen 30 und 50 km/h steigt. So brauchen wir auch das Überholen im Stadtverkehr nicht zu üben.

"Nächste Straße rechts, dann anhalten!" Das Kommando kommt präzise und unerwartet.,
Mit einem Ruck bringe ich das Auto zum Stehen.
"Rückwärts wieder in die Straße einfahren!" 

Ich darf mich losschnallen. Dann Kupplung, Rückwärtsgang, Kopf nach hinten,
Gas geben, Kupplung kommen lassen, rollen lassen! Das Auto bewegt sich tatsächlich um den
Bordstein,
schlängelt im Zick-Zack rückwärts in die Straße.
Ich bringe es in der Nähe des Randsteins zum Stehen und berausche mich an

meiner eigenen Leistung.

"Das gleiche noch einmal, das gleiche noch einmal, das gleiche noch einmal",
kommen die Befehle. Jetzt muss ich links in die vor mir liegende Straße
einfahren und das Auto auf die alte Stelle zurückstoßen. 
 Ich bin in Schweiß
gebadet, reiße das Lenkrad in die falsche Richtung, das Auto dreht sich. Vollbremsung!
Schimpferei!
"Ich habe genug, ich will nicht mehr!", sage ich.
"Was, sie wollen nicht mehr? Warum hören sie nicht auf mich? Kaufen sie sich
ein Spielzeugauto und üben sie damit. Erster Gang! Weiterfahren!"
Verdammt! Es würgt mich in der Kehle, die ausbrechenden Tränen verwischen
die Wimperntusche. Fast bin ich versucht, die Scheibenwischer einzustellen.
Aus vorbeifahrenden Autos streift mich hin und wieder ein Blick voll männlicher Überlegenheit. Wir nähern uns dem heimischen Parkplatz. Ich fahre berschwänglich.
 

Vorbei! Geschafft!
 

Da kommt der Befehl: Anhalten, links rückwärts fahren! Wir machen jetzt
einen Gehorsamsprung, wie bei einem Pferd, das eine Hürde verweigert hat!" Genüsslich legt er sich in seinen Sitz zurück.Rückwärtsgang, Kopf nach hinten, Kupplung kommen lassen, lenken!

Es klappt. Der heilige Christopherus, der Schutzpatron der Autofahrer hat mir beigestanden.
"Na, also!" Befriedigt lässt er mich aussteigen. Ich zögere. "Auf was warten sie noch?", fragt er.
"Ich? Ich warte auf meinen Zucker, damit ich wiehern kann!
"

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Mehrfache Veröffentlichung in Zeitungen und Illustrierten.


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