Die Katzenhexe
© Ulla Leber

Veröffentlicht 2007 in der Anthologie Abendrot- Ein Hauch von Wehmut bleibt
ISBN 978-3-86703-403-7, Euro 10,70

Weit  ab vom Dorf, in der Nähe des Bachufers, hinter Trauerweiden versteckt, stand eine mit Moos und Efeu bewachsene Kate, in der eine alte Frau wohnte, die  nur "Die Katzenhexe" genannt wurde. Viele Katzen waren ihre Hausgenossen, und nicht selten wurde sie gesehen mit einem schwarzen Kater auf der Schulter. Aber auch für streunende Tiere hatte sie einen Futtertopf bereit. Oft stand ein Körbchen mit jungen Kätzchen vor ihrer wackeligen Tür, das jemand mitleidigen Herzens dort hingestellt hatte, in der Hoffnung, dass sie für die Jungen sorgen würde. Denn an und für sich war es unter der Dorfbevölkerung üblich, junge Kätzchen, wenn es ihrer zu viele waren, im kalten Bachwasser zu ertränken.

Der Schulweg der Kinder, die zum Unterricht ins nächste Dorf mussten, führte in der Nähe ihrer Kate vorbei. Die Kinder verstummten ängstlich in ihren Gesprächen, ihre Schritte beschleunigten sich, wenn sie sich näherten:
" Pst! Die Katzenhexe!"
Auch manche Mutter pflegte ihrem ungehorsamen Kind zu drohen:
"Wenn Du nicht artig bist, bringe ich Dich zur Katzenhexe, die wird Dich schon Gehorsam lehren!"
Ab und zu sah man die alte Frau auch im nahen Walde, wo sie,  umgeben von ihren Tieren,  Beeren und Kräuter sammelte oder Holz und Reisig für ihren Herd. Aber die Dorfbewohner waren es gewohnt, einen Bogen um sie zu machen. Ins Dorf kam die Katzenhexe nicht, denn sie benötigte  nicht viel. Sie konnte sich in ihrer Genügsamkeit von ihrem kleinen Gärtchen, den Eiern der Hühner und von der Milch ihrer Ziegen ernähren.

Eines Tages spielte das Töchterchen des größten Bauern des Dorfes mit ihrem Kätzchen auf einer schon reichlich alten und verwitterten Holzbrücke, die über den Bach führte. Dieser Steg wies auch schon einige Löcher in den Planken auf, so dass man beim Gehen vorsichtig sein musste. Deshalb blieb die Kleine nahe am Ufer.
Nach heftigen Regenfällen war das Wasser des Baches ziemlich hoh und reißend. Mit dem Kätzchen im Arm beugte sie sich, gebannt von den grünlich-gelben Wasserfluten, über das Brückengeländer. Plötzlich glaubte das Mädchen, etwas Lebendiges im Wasser treiben zu sehen. Es erschrak so sehr, dass sich die Arme lösten und das Kätzchen in den kalten Bach fiel. Die Kleine lief schnell an den Bachrand, um dem Tierchen, das sich im Ufergestrüpp verfangen hatte, zu helfen. Dabei rutschte sie aus, fiel in das Gestrüpp und drohte vom Wasser fortgespült zu werden.
Ihre Hilferufe hörte niemen außer - der Katzenhexe, die vorsichtig am glitschigen Bachufer entlang geschritten war, um angespültes Reisig aufzusammeln. Die Katzenhexe zögerte nicht einen Augenblick, hob ihre Röcke und stieg in das eisige Wasser, um zuerst das Mädchen und dann das Tier in Sicherheit zu bringen. Sie brachte beide in ihre Kate, hüllte das Mädchen in warme Decken und legte das Kätzchen in einen Korb.
Mittlerweile war die Dunkelheit hereingebrochen und der Bauer und seine Familie waren angstvoll ausgeschwärmt, um das Töchterchen zu suchen. Vergebens! Sie war wie vom Erdboden verschwunden.
Da, plötzlich sprach es einer aus: "Vielleicht hat die Katzenhexe sie geholt!"
Sie liefen zur Kate, und der Bauer in seiner Angst drückte ohne zu klopfen die Tür ein und fand seine Tochter, fiebrig auf einer alten Matratze liegend, von Katzen umgeben. Von der Katzenhexe jedoch keine Spur. Denn die war trotz der Dunkelheit unterwegs, um heilende Kräuter für die Kleine zu suchen.

Er riss das Mädchen an sich. In seiner Wut und seinem Irrglauben, die Katzenhexe habe etwas mit dem Verschwinden zu tun, warf er die brennende Kerze um, wohl wissend, was er tat und dass die Kate in Flammen aufgehen würde.
Mit dem Mädchen im Arm lief der Bauer  nach Hause, hinter sich seine angstvolle  Familie und einen Flammenschein, der sich in die schwarze Nacht bohrte. Die Katzenhexe wurde seit jener Nacht nicht mehr gesehen.
Im Dorf aber hatte man seitdem Angst vor dem "Roten Hahn". Denn der Hof des reichen Bauern brannte in einer Gewitternacht bis auf die Grundmauern nieder, und die Familie überlebte nur, weil das Mädchen, das die Katzenhexe einst  gerettet hatte, rechtzeitig erwacht war. Ganz deutlich hatte es die Katzenhexe rufen hören: "Es brennt, es brennt!"

An der Stelle, wo die alte Kate stand, tummeln sich immer noch die Katzen, und es wächst dort ein wunderschöner weißer Rosenbaum, den die Tochter des Bauern  angepflanzt hatte, als sie verstand, was in der Nacht ihrer Rettung geschehen war. 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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